* 24. August 1893 in Stein am Rhein, † 8. Januar 1978 in Stein am Rhein
Den Lebensbildern verstorbener Schaffhauser Persönlichkeiten darf und kann gewiss die Schilderung von Leben und Werk des Steiner Malers Hermann Knecht hinzugefügt werden. Die künstlerische Qualität und Originalität sowie der Umfang seines Lebenswerkes rechtfertigen ein solches Vorhaben. Seine Kunst wird trotz des dauernden Wandels der Kunstauffassungen in der Geschichte der nordostschweizerischen Malerei über die Landesgrenzen hinaus im Bodenseeraum ihren sicheren Platz haben. Heute muss allerdings einer solchen Prognose die Voraussetzung hinzugefügt werden, dass es auch in Zukunft noch Menschen gibt und geben darf, deren differenziertere Bildbedürfnisse weder mit der Technik der Photographie noch des Flimmerkastens, sondern nur mit der Kunst des Malens und Zeichnens befriedigt werden können.
Am 24. August 1893 wurde nun in Stein am Rhein ein Maler geboren, der mit seinem Werk die Freunde der Kunst reich beschenkt hat. Väterlicherseits stammt Hermann Knecht von Bauern ab, die ursprünglich in Hinwil, später in Kaltenbach bei Stein ansässig waren. Seine anspruchslose, einfache Lebensweise lässt sich vermutlich auf diese Wurzel seines Herkommens zurückführen. Sein Vater, ein guter Zeichner und gelernter Uhrmacher, war Fabrikant Er gründete in seinem Wohnhaus, dem schönen und geräumigen alten Waisenhaus draussen am Mühlenbach, die bekannte optische Werkstätte Knecht, nachdem seine Schalenfabrik schon vor dem ersten Weltkrieg einer Krise in der Uhrenbranche zum Opfer gefallen war. Mütter-licherseits war Hermann ein Spross der bekannten Pfarrer- und Missionarsfamilie Lang aus Schaffhausen. Sein Grossvater, Pfarrer John Lang, amtete während der Jugendzeit des Enkels im herrlich gelegenen Pfarrhaus in Stein.
Die Umweltverhältnisse, insbesondere die visuell erfahrbaren, spielen im Werden eines Malers eine besonders wichtige Rolle. Sehr oft bilden sie nämlich die Grundlage, oder besser noch den Grundstoff des späteren künstlerischen Schaffens. Für Hermann Knecht scheint dies sogar in besonderem Masse der Fall gewesen zu sein; ich muss deshalb mit einiger Ausführlichkeit auf sie eingehen.
Schon als kleiner Steinerbub – Hermann Knecht war um einiges älter als ich – habe ich von den Taten und jugendlichen Streichen der fünf Brüder Knecht gehört, die, von vielseitiger Entdeckerlust erfüllt, Stadt, Feld, Wald und Fluss wahrhaftig nach allen Seiten und Tiefen ausloteten. Dieses jugendliche Erleben, ja diese eigentliche sinnliche Verbundenheit mit der herrlichen Landschaft von Stein am Rhein scheint auf unseren Hermann Knecht einen bestimmenden Einfluss ausgeübt zu haben. In den späteren Darstellungen von einsamen Waldwegen, von romantischen Uferpartien und winterlichen Kiesbänken im Rhein, aber auch im betont Stimmungshaften seiner Bilder erkennen wir ganz deutlich die Inspirationen, die ihm aus der Tiefe jener frühen Heimaterlebnisse zuströmten. Ich glaube sogar, dass die amorphen Formen einer ausgewaschenen Uferböschung oder einer vermoosten Kiesbank und sehr wahrscheinlich auch die duftig-zarten Schleier des sich im Sonnenlicht auflösenden Herbstnebels ihm nicht nur als Motiv gedient, sondern sogar seinen persönlichen Stil mitbestimmt haben. Wir können im Hinblick auf Knechts Werk von einer eigentlichen Symbiose von Form und Inhalt sprechen.
Die Entscheidung zur Künstlerlaufbahn, die übrigens von zwei seiner Brüder später ebenfalls beschritten wurde, wird, abgesehen von seiner «Seherlust» und seiner ausgesprochenen Begabung fürs Zeichnen und Malen, die schon früh erkennbar war, auch von bestimmten Begebenheiten beeinflusst worden sein. Dazu gehören gewiss die Zeichenstunden, die der damals bekannte Basler Graphiker Theodor Barth, der öfters bei seinem Freund Pfarrer Lang weilte, dem Realschüler erteilt hat Das emsige Schaffen einer jeweils im Sommer in Stein anwesenden deutschen Künstlerkolonie mag ebenfalls geeignet gewesen sein, in Hermann verlockende Perspektiven zu wecken. Könnte nicht auch die Fassadenbemalung, die um die Jahrhundertwende an einigen Häusern am Rathausplatz durchgeführt wurde, eine solche Begebenheit sein? Er hätte, so erzählte mir mein Freund, als 8- oder 10jähriger Knabe das Fortschreiten der Arbeiten am Hause zum Pelikan, das dem damaligen elterlichen Hause direkt gegenüber lag, genau verfolgen können, was schon damals für ihn ein grosses Erlebnis gewesen sei. Ist es wohl dieses Ereignis, das den stillen Wunsch, Maler zu werden, in einen festen Entschluss verwandelt hat? .
Neben der intuitiven Seite seines Wesens verfügte Hermann Knecht aber auch über einen Intellekt, der ihn ohne weiteres zum akademischen Studium befähigt hätte. Zu Botanik und Zoologie hatte er zeitlebens eine besondere Neigung. So finden wir ihn nach der Realschulzeit zuerst einmal in der Kantonsschule, die er allerdings wegen der erwähnten geschäftlichen Krise nach zwei Jahren mit dem Technikum in Winterthur vertauschte. Schon nach drei Semestern machte er das Diplom als Bautechniker, ohne allerdings diesen Beruf je auszuüben. Vorerst trieb es den jungen Mann mit allen Fasern nach München zur weiteren Ausbildung. Ich vermute, dass ihm dabei viel mehr als das Zeichnen mit Massstab und Zirkel der Kontakt mit der Bildenden Kunst am Herzen lag. Auf jeden Fall hat er dort in der Westerrieder Schule fleissig Akt gezeichnet, eine Disziplin, die zu jener Zeit noch eine absolute Voraussetzung für eine Aufnahme in die Kunstakademie war.
Von 1914–18 mussten die jungen Leute natürlich in langen Dienstleistungen dem Vaterland ihren Tribut entrichten. Knecht war als Mann vom Baufach und ausgezeichneter Schwimmer Pontonier. Immerhin bot sich in den Zwischenzeiten Gelegenheit, als Entwerfer für die Silberwarenfabrik Jezler & Cie in Schaffhausen das nötige Geld für weitere Studien an der Akademie in München zu beschaffen. Von 1916 bis gegen Kriegsende besuchte der Kunststudent die Kurse von Feuerstein, Dörner und Prof. Hugo von Habermann, dem damals berühmten Portraitisten und Aktmaler. Die bravouröse Pinselschrift des letzteren scheint ihm imponiert zu haben, und seine späteren Arbeiten zeigen, dass Knecht ein gelehriger Schüler gewesen ist. Eine Episode aus dieser Münchner Studienzeit möchte ich hier ebenfalls erwähnen, zeigt sie uns doch, dass Knecht für seine Ausbildung zum Maler wirkliche Opfer zu bringen bereit war. Trotz beginnender Hungersnot und politischer Wirren in Deutschland gab er seinen Studienplatz nicht auf; bis er selber unschuldig in die revolutionären Auseinandersetzungen hineingerissen wurde. Wäre er nicht durch das Schweizer Konsulat aus einer sehr peinlichen Lage herausgeholt worden, so hätte er seine Unvorsichtigkeit wohl mit dem Tode bezahlen müssen. Nach diesen dramatischen Ereignissen kehrte Knecht in die Schweiz zurück und besuchte während kürzerer Zeit die Kunstgewerbeschule in Basel. Mit dieser notdürftigen theoretischen und praktischen Vorbereitung eröffnete er im Hause zum Wasserfels in Stein eine Werkstatt für Bau- und Dekorationsmalerei, in der Hoffnung, dass ihm neben dieser Brotarbeit noch genügend Zeit und Musse bleiben würde, um sich weiterhin seinen künstlerischen Ambitionen zu widmen. Diese Rechnung ging aber nicht auf, denn sein Geschäft fand sehr bald einen solchen Zuspruch, dass von einem freien künstlerischen Schaffen kaum mehr die Rede sein konnte. Kurzentschlossen machte er deshalb die Läden und die Türe seiner Bude wieder zu.
Wir dürfen jedoch sagen, dass diese kurze Tätigkeit als Handwerker zwei für seine Kunst und sein Leben wichtige Auswirkungen hatte. Erstens gab sie ihm gute praktische Voraussetzungen für seine zwar nicht sehr zahlreichen Wandmalereien in Schaffhausen, Stein, Ermatingen und Kreuzlingen. Zweitens bot sie ihm die einmalige Chance, auf einer bürgerlich akzeptierten Erwerbsgrundlage mit Erfolg um die junge und adrette Sophie Spengler aus dem «Schopf» in Vorderbrugg zu werben. Sie war ihm bis zu seinem Tod eine persönlich anspruchslose, tüchtige und allzeit um sein Wohl besorgte Lebensgefährtin. Bald nach der Heirat zogen die jungen Eheleute nach Feuerthalen, weil der Ehemann an Stelle seiner selbständigen Tätigkeit eine feste Anstellung, wiederum als Entwerfer bei Jezler, angenommen hatte. Äusserst zäh in der Verfolgung seines Zieles, als freier Künstler schaffen zu können, sah er in dieser nicht schlecht bezahlten Stellung die Möglichkeit, bei konsequenter Sparsamkeit einige Batzen auf die Seite legen zu können. Nach etlichen Jahren, anno 1926, war es nach Auffassung des Ehepaares endlich soweit, dass man den Schritt in die Künstlerfreiheit wagen könnte. In Tenero, am oberen Ende des Langensees, beginnt somit die definitive, ununterbrochene Laufbahn des Kunstmalers Hermann Knecht. Die dort geschaffenen «Landschaften» sind schon «typische Knecht», unterscheiden sich aber noch durch den trocken wirkenden Farbauftrag von den malerisch-flüssigen und stimmungsgeladenen Arbeiten der späteren Steiner Zeit. Die wenigen dramatischen Kompositionen, die er daneben aus der Vorstellung schuf; weisen auf seine Neigung zum Barock hin. Sie stehen in der gestalterischen Freiheit, die sich Knecht hier nahm, auch surrealistischen Tendenzen nicht sehr fern.
Der Künstler sah sich natürlich nun auch gezwungen, wenn er seine Reserven nicht allzu schnell aufbrauchen wollte, die ihm als Schaffhauser und Thurgauer Bürger möglichen Ausstellungsgelegenheiten wahrzunehmen. Er beteiligte sich regelmässig an den Ausstellungen des Schaffhauser Kunstvereins im alten Konvikt und später im Museum zu Allerheiligen. Auch im Thurgau boten sich allmählich Möglichkeiten, die Arbeiten einem interessierten Publikum zu zeigen. Er war Mitglied der «Tangente», einer Selbsthilfeorganisation von Schaffhauser Künstlern, und nahm auch teil an den «Turnusausstellungen» und sonstigen Veranstaltungen des Bundes. Mit der Zeit wurde sein Oeuvre so umfangreich, dass er mit einer Auswahl von Arbeiten Einzelausstellungen durchführen konnte, wie etwa in Stein, Schaffhausen, Frauenfeld, Zürich und selbst im Ausland.
Nach dreijährigem, fruchtbarem Schaffen im sonnigen Tessin bot sich dem treu zusammenhaltenden Ehepaar Gelegenheit, ein direkt am See liegendes Haus oberhalb Berlingen zu beziehen. Aus den zwei dort verbrachten Jahren datiert Knechts Freundschaft mit Adolf Dietrich, dem unterdessen berühmt gewordenen Maler am Untersee. Während aber für Dietrich Berlingen mit seiner besonderen Lage am See und nicht zu vergessen auch mit seinem intimen Kleinkram eine unerschöpfliche Quelle seiner Kunst bildete, scheint sich unser Maler in der für ihn nicht so leicht fassbaren Weite des Seeraumes einerseits und im knapp bemessenen Gelände zwischen Ufer und Seerücken andererseits doch nicht so recht zu Hause gefühlt zu haben. Die verschiedene Sicht der Dinge kommt im Schaffen der beiden Künstler deutlich zum Ausdruck. Bildet die naive Gegenständlichkeit der Landschaften, der Stilleben mit Blumen oder allerhand Kleingetier und der figürlich belebten Interieurs den Reiz der Kunst Dietrichs, so ist bei Knecht alles Licht, Raum und malerische Auflösung des Gegenstandes. Wir finden deshalb in seinem Werk weder Stilleben noch Interieurs, weil sie ihm für sein stilistisches Ideal zu wenig Anregung boten.
Der dringende Hilferuf von Mutter und Schwester an Frau Knecht, bei der Pflege ihres Rebberges am Klingenberg mitzuwirken, kann es nicht gewesen sein, der den Maler Knecht bewog, seine Zelte in Berlingen abzubrechen. Für den Künstler war es das tiefe Erleben der heimatlichen Gefilde in der Jugendzeit, die imponierende räumliche Einheit der Landschaft zwischen Hohenklingen und Seerücken, im Westen begrenzt durch den Rodenberg, und die Fülle von Einzelmotiven, die den Landschaftsmaler zurückriefen. Oder war es ganz konkret die Erinnerung an den wunderbaren Ausblick auf den Rhein mit dem Inselchen Werd, die er einst aus der Studierstube seines Grossvaters tief in sich aufgenommen hatte? Es ist denn auch für Knecht kennzeichnend, dass er sich, sei dies bewusst oder unbewusst, im Zentrum dieser Landschaftseinheit im Haus zum Kleeblatt, nahe beim Pfarrhaus und mit ähnlichem Ausblick auf den Rhein für den Rest seines Lebens, d. h. für noch 47 Jahre niedergelassen hat.
Das neue Hauptquartier mag unserem Künstler, der sich seiner Arbeit am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit hingab, insofern einige Sorgen bereitet haben, als es nicht leicht war, vom gestrengen Mitbürger ungesehen und unkontrolliert – er kannte seine Pappenheimer und ihre Vorstellungen über den Alltag eines Künstlers – ans Motiv heranzukommen. Aber durch die wenig begangene untere Rheingasse liessen sich doch ohne allzu grosse Umwege einige verlockende Motive im Niederfeld oder im «Hopihoh» erreichen, wo man sich dann wiederum hinter irgend einem Gesträuch vor zudringlichen Zaungästen schützen konnte. Auch der Klosterhof und der Kirchhofplatz boten ebenfalls genügend Deckung, um mit seinem Malzeug aus dem Städtchen herauszukommen, besonders morgens früh, wenn die Bürger noch den Schlaf der Gerechten schliefen. Glücklicherweise stiess auch der Rebberg bis an den Waldrand hinauf, so dass dem Maler auch dort ein Weg in den Malerhimmel offenstand.
Als dem bedeutenden Zürcher Künstler Ernst Georg Rüegg einst eine genaue Berufsbezeichnung abverlangt wurde, bezeichnete er sich in seiner Bescheidenheit als «Maler des Zürcher Unterlandes». So wollen wir Hermann Knecht den ehrenvollen Titel «Maler der Landschaft von Stein am Rhein» zuerkennen, obschon er nicht nur sie mit seiner Kunst verherrlicht hat. Ich kann bezeugen, dass er von unseren einstigen gemeinsamen Malerfahrten in den Hegau, den Klettgau und Thurgau wohlgelungene Arbeiten nach Hause gebracht hat, ein Zeichen, dass er sich von solchen Motiven angesprochen fühlte. Dasselbe gilt auch von seinen zahlreichen und schönen Aquarellen, die er jeweils in den Ferien in der Bergwelt des Bündnerlandes gemalt hat. Die dort bevorzugte Technik des Aquarells ergab sich aus dem einfachen Grunde, weil das Werkzeug für den oft langen Anmarsch zum Motiv leichter war und dieses sowieso auf Anhieb bewältigt werden musste, wozu sich das Aquarellieren besser eignet. Erst viel später hat er auch bei uns im Unterland diese Technik vermehrt angewendet.
Man kann mit Überzeugung sagen, dass das Kernstück seines Schaffens aber die Schilderung seiner Heimat war. Wir sind ihm dankbar, dass er uns mit seiner Kunst ein wirklich neues, sehr originelles und vornehmlich liebenswürdiges Bild dieser herrlichen Landschaft geschenkt hat Wie oft hat er doch die Uferpartien bei Stiegen und Eschenz, beim Inselchen Werd, bei Wagenhausen, Rheinklingen und Hemishofen, dann das Städtchen von Osten und Westen und als zartes Filigran die Brücken von Hemishofen, Stein und zum Inselchen Werd dargestellt Den Halden des Klingenberges, wie den weiten Hängen des gegenüberliegenden Seerückens wusste er immer wieder neue Aspekte abzugewinnen. Auch die ausgefahrenen Karrenwege in. den Wäldern von Stein und Hemishofen, oder die reifen Getreidefelder auf dem Ramserfeld hat er immer wieder als würdigen Stoff seiner Malerei betrachtet Hingegen können wir mit Genugtuung feststellen, dass er die konventionellen Ansichten des Städtchens, der Burg Hohenklingen öder des berühmten Rathausplatzes den Photographen als Jagdrevier überlassen hat. Seine Malerei stand nicht im Dienste der Touristik, sie stand im Dienste der künstlerischen Interpretation und Darstellung einer Landschaft, die ihm lieb war, deren Schönheit er auf seine Weise preisen musste.
Aber auch die andere, vielleicht nicht so verständliche Seite seines künstlerischen Werkes soll hier erwähnt werden; ich meine die expressiven Phantasielandschaften und figürlichen Kompositionen. Sie bildeten die notwendige Kompensation zu seiner Malerei vor der Natur. Mir kommt es vor, als wenn der Künstler damit von Zeit zu Zeit den tiefen Schichten seiner Veranlagung Luft hätte schaffen müssen. Mit solchen Malereien konnte er das Unkünstlerische, Kleinliche und Unnotwendige, das einem Maler direkt vor dem Motiv leicht in den Pinsel kommt, abstossen und das geistige Prinzip seines Schaffens immer wieder rein erscheinen lassen. Erst diese Arbeiten zeigen uns das ganze Volumen seiner Schöpferkraft und Malleidenschaft Sie machen uns zugleich das in unserem Lande nicht sehr übliche Gefüge seiner Erbveranlagung klar. Könnte nicht die offensichtliche Verwandtschaft seines Werkes mit dem österreichischen Spätbarock dem Tropfen Wienerblut, der in seinen Adern rollte, zugeschrieben werden und die unbestimmbaren Tiefen seiner stimmungshaften und eher schweren Phantasielandschaften einer späten Nachwirkung der tscherkessischen Urgrossmutter zu verdanken sein? Auf jeden Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass Knechts Werk einem von fremdem Geist nicht mitbestimmten Schweizer Künstler zugewiesen werden könnte. Die künstlerische Konzeption ist zu eigenartig, als dass man solche Zusammenhänge übersehen könnte.
Da schon seit mehr als einem halben Jahrhundert der mehr oder weniger offizielle Kurs der Schweizer Künstler und ihrer Kunstgemeinde auf die französische Malerei ausgerichtet ist, ist es verständlich, dass für manchen Kunstfreund der Zugang zur Malerei Knechts schwer zu finden war. Dementsprechend können wir auch berichten von einem langen, zähen, aber unaufdringlichen Kampf um Anerkennung und eine befriedigende Lebensexistenz. Ein finanzieller Zustupf aus dem Ertrag der Reben, die Frau Knecht später übernommen und selbst bearbeitet hat, war deshalb willkommen. Die um Künstlerpersönlichkeiten sich leicht bildende Legende von Not und Elend sei hier jedoch zum vorneherein zurückgewiesen.
Nie hat Hermann Knecht mit falscher Künstlerromantik und auffälligem Gebaren die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken versucht und sich nie als Künstler über den sogenannten gewöhnlichen Bürger erhaben gefühlt. Mit einem bescheidenen Platz in der Hierarchie der menschlichen Ordnungen ist er stets zufrieden gewesen. Er hat als weiser Mann seine künstlerische und menschliche Unabhängigkeit, die er über alles liebte, auf den sicheren Boden der Anspruchslosigkeit gestellt Diese Haltung, zusammen mit seinem unentwegten Schaffen, bat ihm im Laufe der Zeit die respektvolle Sympathie und ein allmählich erwachendes Interesse der Mitbürger und vieler Kunstfreunde an seiner Kunst eingetragen, so dass er den alten Tagen nicht mit Besorgnis entgegenschauen musste. Die letzten zwei Lebensjahre waren von Krankheit und Beschwerden des Alters zu sehr belastet, als dass man sie noch als willkommenes Geschenk des Schicksals hätte betrachten können. Seine ewige Ruhestätte hat er im idyllischen Friedhof beim Kirchlein Burg gefunden.
Werner Schaad – Maler und Zeichner. Konservator der Kunstabteilung des Museums zu Allerheiligen, Schaffhausen. Expressionistische Zeichnungen und surrealistische Gemälde. Mosaik und Glasmalerei